Gelassenheit christlichen und individualpsychologisch betrachtet.
Quelle: Gelassen durch den Tag, Die Kunst trotz allem Gelassen zu sein, Reinhold Ruthe, 2016, Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

1. Gelassenheit gewinnen
Gelassenheit hat mit Verzicht zu tun. Mit Sein-Lassen. Wir müssen lernen unnötigen Ballast abzuwerfen. Um neues zu gewinnen, müssen wir altes verlieren. Los-lassen. Zuerst müssen wir erkennen, an welchen Orten Gelassenheit erforderlich ist. Gelassen-Sein ist ein Lebensstil, eine Lebenshaltung. Wir müssen achtsam werden auf unsere Lebenseinstellungen und hinterfragen, ob es sich nicht lohnen könnte etwas daran zu ändern. Gelassenheit ist kein Verdienst, sondern ein Gnadengeschenk und eine Aufgabe. Das ist kein Wiederspruch. Denn selbst die besten Gnadengaben verderben, wenn sie nicht genutzt werden. Es ist also eine Gnade Gelassenheit als stetige Aufgabe zu leben, nur so können wir die Freiheit davon ernten.
Sie erfahren Gelassenheit, wenn Sie…
…Unerledigtes zurücklassen können
…nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen
…Sie negative Gedanken stoppen
…vergeben können
…die Vergangenheit ruhen lassen
...beunruhigende Fragen an Gott abgeben
…auf Gottes Zukunft vertrauen
Mehr Eigenständigkeit, weniger reagieren auf andere
Jemand der nur auf Umstände, Wünsche, Bedürfnisse, Bitten, Aufgaben, Pflichten… etc. reagiert, wird gelebt. Er kann nicht Nein sagen. Er hat seine Selbstbestimmung, Eigenständigkeit, Eigenleben verloren. Er reagiert mit Sorgen, Kontrolle, mit Scham und Schuldgefühlen, mit Angst reagiert, weil er glaubt reagieren zu müssen, lässt es zu das andere sein Leben bestimmen. Er ist abhängig von anderen. Stets auf andere gerichtet. Nimmt Bedürfnisse, Wünsche, Gefühle von anderen sehr gut wahr. Nimmt die anderen zu ernst und oder ernster als sich selbst. Doch wenn andere uns fordern, kritisieren, in Beschlag nehmen, müssen wir auch Nein sagen können. Wir müssen prüfen ob die Zumutungen angemessen sind oder nicht! Niemand muss reagieren auf jemand anderen. Richtig ist: Wir nehmen den anderen ernst, sind aber frei in unseren Entscheidungen.
Je mehr wir eigenständig, unabhängig denken und handeln, desto ruhiger und gelassener reagieren wir.
Müssen Sie alles persönlich nehmen? Ich denke nicht. Wer sich alles zu Herzen nimmt, wird herzkrank. Menschen mit einem Gewissen einer Briefwaage, sehen hinter jedem Stein eine Provokation, Lügen, Aufforderung, Böses, Missgunst, hinterfragen alles und jeden, natürlich auch sich selbst! Tragen wegen allem und jedem ein schlechtes Gewissen, ahnen Reaktionen und Folgereaktionen schon weit voraus, weit an der eigentlichen Realität vorbei. - Sie machen sich und andere wahnsinnig. Sie fühlen sich in Anspruch genommen, reagieren ärgerlich und belasten andere erst recht. Doch niemand muss müssen. Wir dürfen die 1000 Kümmernisse sein lassen. So beruhigen sich die Nerven von ganz alleine. Wir werden gelassen, wenn wir von anderen/anderem losgelassen haben und bei uns selbst bleiben.
Ein Lösungsimpuls: Negative Gedanken stoppen
Negative Gedanken wie Unterstellungen, Schlimmes befürchten lassen, jede Freude rauben, den Teufel an die Wand malen, sind wie Gift für uns. Es sind Ängste, Pessimismus, irrige Überzeugungen und Schwarzseherei, die wir bewusst stoppen und verändern können. Wenn wir glauben das wir für unsere Gefühle nichts dafürkönnen, ist das falsch! Auf Lebensüberzeugungen folgen Gedanken und diese äussern sich in und mit Gefühlen, welche wiederum die Lebensüberzeugungen bestätigen. In diesen Kreislauf können wir eingreifen, wenn wir bewusst die negativen Gedanken kontrollieren. Bewerten wir anders, fühlen wir anders und ziehen andere Schlussfolgerungen für unser Leben daraus.
Gelassenheit ist ein Lebensstil
Heutzutage muss alles schnell gehen. Die Time-is-money-Ideologie ist allgegenwertig im Alltag und der Wirtschaft. Darunter leidet vor allem unsere Gesundheit. Der getriebene Mensch reagiert im Stress nervös, der Körper mit nervösem Magen.
Die Gegenbewegung zum Fastfood ist Slowfood. Wer sich in Pausen Zeit nimmt zum Essen, ausgiebig kaut, die Gabel auch Mal ablegt, zeigt Ruhe und Gelassenheit. Wer in der Hektik neben Karriere, Ehrgeiz, Zielerfüllung noch nebenbei zwischen bissen, schlucken noch hastig trinkt, demonstriert die Unruhe unsere Zeit. Es ist eine Frage der Einstellung. Die Gesinnungsänderung ist entscheidend für die Lebensstielkorrektur. Ich entscheide mich immer für Gelassenheit. Ruhe und Gelassenheit in meiner Arbeit, in meinem Alltag, an meinem Küchentisch.
Spiritualität und der Umgang mit Stress und Entspannung
Eine ausgeglichene Job-Life-Balance ist ein grosses Thema unserer Zeit. Seelische und körperliche Gesundheit ein Dauerbrenner. Neben dem gesunden positiven Stress, leiden wir in der Regel am negativen Stress. Alles was über – anstrengt, -belastet, -fordert, übertreibt, stört, bedroht, macht krank und kann töten. Dieses Zuviel an Stress kann sich zeigen durch Lärmstress, Leistungsstress, Verkehrsstress, optischem Stress, Konfliktstress… etc. So individuell wie wir sind, ist auch unser Stressempfinden und zeigt sich in der Überlastung. Unser Körper erträgt die Über-Spannung nicht mehr und sein ausgeklügelter Schutz- und Verteidigungsmechanismus wendet sich plötzlich gegen uns. Wir erkranken an psychosomatischen Störungen, die sich so individuell zeigen wie das erlebte Stressempfinden.
Der Berliner Nervenarzt J. H. Schulz hat an Fakiren aus dem Orient eine ganz besondere Entdeckung gemacht. Fakire haben die Fähigkeit bis zu einem gewissen Grad Einfluss auf unwillentlich steuerbare Körpervorgänge zu nehmen. Z. B. können Sie den Pulsschlag steuern, somit den Kreislauf und Blutdruck zu ihrem Willen ändern. Aufgrund dieser Tatsache hat Herr J. H Schulz im Jahr 1920 das Autogene Training erfunden, wo «konzentrierte Selbstentspannung» eingeübt wird. Man lernt Zustände des Körpers wahrzunehmen, die wir normalerweise nicht bemerken und bewusst zu empfinden, Einfluss zu nehmen und somit zu entspannen. Es hat sich gezeigt, das Achtsamkeit und Autogenes Training sehr hilfreich sein können bei psychosomatischen Störungen. Da die Krankheitszustände durch die seelische Fehlregulation eingedämmt werden kann. Dadurch lässt sich Medikationen wie Psychopharmaka, Schlaf- und Schmerzmittel einschränken und den Über-Stress prophylaktisch vorbeugen.
Es gibt vielleicht Menschen, die mit Mentaltraining in Glaubenskonflikte kommen. Sie denken, dass hier mit okkulten Praktiken oder spirituell fragwürdigen Einflüssen gearbeitet wird. Dazu gibt es in der Bibel einen praktischen Rat: Wer etwas für unrein hält, für den ist es tatsächlich unrein. Niemand soll also zu etwas gezwungen werden, das ihm nicht entspricht. Im Römer 14, 13-23 (Bibel) wird vor allem über unreine Speisen gesprochen, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass man dieses Prinzip auch auf geistige Speisen anwenden kann.
Viele stören sich auch an dem Wort Selbst, dass oft im Zusammenhang mit solchen Methoden in Verbindung gebracht wird, wie z. B Selbstentspannung, -suggestion, -verwirklichung, -heilung. Das Traurige am Mensch ist ja, dass er sich selbst retten und erlösen will und sich auch selbst von seinen körperlichen und seelischen Problemen heilen möchte – alleine ohne Gott. Klappt das nicht, hilft nur noch beten, so das allgemeine Denken. Gott allein soll es uns nun wegnehmen! Doch das tut er selten einfach so. Wunder sind die Ausnahme. Gott will mit uns zusammen uns helfen und heilen. Es braucht unseren Einsatz und seine Kraft. Mindestens ein regelässiges Gebet von unserer Seite braucht es schon! Einen Trainer oder Arzt triffst du nicht nur einmal und dann ist gut. Es braucht unser regelmässiges Suchen nach Gott Vater, Gott dem Schöpfer, Gott dem Heiler und Seelsorger. Gib ihm die Chance dir Antworten zu geben. Versuche offen zu sein für ihn. Versuche eine Möglichkeit für die spirituelle Verbindung mit Gott zu finden, so das er dir Begegnen kann, sei es durch Bibel lesen, Musik, Lieder singen, Anbetung, beim Sport, beim Malen und Gestalten, etc. Das Bewusstsein, das wir auf ihn angewiesen sind, in allem, ist wichtig. Darum braucht es Kommunikation mit ihm. Er möchte das wir Verantwortung für unser Leben übernehmen, uns selbst durch ihn helfen können. In diesen Selbsterfahrungen benötigen wir die Unterstützung von Jesus und dem Heiligen Geist, die uns dabei leiten.
Ein Lösungsimpuls: Nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen, sondern auf Gottes Zukunft vertrauen
«Gott gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.»
von Reinhold Niebuhr
Wenn wir stur sind, irreale Ziele verfolgen, etwas durchsetzen wollen, das nicht durchsetzbar ist, werden wir unzufrieden, unglücklich und hektisch. Wir reagieren blind aus Verzweiflung und ignorieren die Realität seiner Begrenzung. Unsere Energie und Ressourcen, Zeit sind begrenzt. Wir müssen demütig werden vor dem, was für uns realistisch ist! Wer falsche Ziele loslässt wird gelassener. Wer für sich reale Ziele ver-folgt, sieht Er-folge. Man erlangt Zufriedenheit und Zufriedenheit ist immer ein Zeichen von Gelassenheit.
Kennen Sie den Satz: Früher war alles besser. Man hört ihn oft von Leuten, die keine gute Zukunft sehen. Unsere Sensations-Reklamations-Nachrichtenflut verstärkt oft den Eindruck, dass es mit der Welt ja nur bergab gehen kann. Man wäre ja naiv etwas anderes zu glauben. Viele Menschen sind zwar vom technischen Fortschritt überzeugt, doch leben sie oft wie Tiere. Sie leben, aber wissen nicht wozu. Sie konsumieren, aber verfolgen keine Ziele. Sie erlebe keinen Antrieb, Einsatz, Begeisterung oder Verantwortung. Wir Christen sollen keine Traumtänzer, aber auch keine Katastrophenprediger sein. Wer weiss und vertraut, dass Gott alles in seiner Hand hält, kann Lebens- und Existenzängste gelassener entgegentreten.
Beunruhigende Fragen an Gott abgeben
Wir alle werden früher oder später mit Fragen konfrontiert, die uns niemand beantworten kann oder wir von niemandem beantworten lassen können. Warum geliebte Menschen sterben oder wieso gewissen Menschen ein schlimmes Leid erfährt, Ungerechtigkeiten die wir nicht fassen können, Dinge die unseren ganzen Verstand in Frage stellen. Auch Christen werden von Zweifel aus der Bahn geworfen. Das kann uns entmutigen und resignieren. Niemand kann Schicksale bestimmen, ändern oder gar erklären – ausser der Schöpfer selbst! Gott Elohim.
Der Theologe Jörg Zink schreibt, dass die Schwester der Gelassenheit Bescheidung sei. Bescheidung bedeutet dasselbe wie Beschränkung. Er spricht davon, dass ich immer nur ein Stück Teilwahrheit erlebe, nur eine Seite der Medaille kenne und Gott mir genau nur diese Begrenzung anvertraut und verantworten lässt. Und weil er weiss, dass er mich dadurch mit zig unbeantworteten Fragen konfrontieren muss, fordert er mich auf „alle meine Sorgen auf ihn zu werfen“. Ich darf ihm alles einfach alles abgeben. Alles was mich ängstigt, in tiefe Trauer stürzt, ich nicht verstehen oder fassen kann. Ich muss Bescheidenheit entwickeln, dass ich nicht alles verstehen kann und muss. Das ist schwierig für uns Menschen, weil wir für alles eine Erklärung verlangen. Doch wer alles vertrauensvoll in Gottes Hände legen kann, erfährt Gelassenheit.
Wenn wir spirituellen Frieden gefunden haben wir verstanden: Alles was in unserem Leben ist, kommt von Gott. Nicht nur Materielles, auch unsere Begabungen, unser Job, Ehepartner, unsere Eltern, unsere Kinder und Freunde. Es ist eigentlich falsch, wenn wir da von «Geschenken» sprechen, die Gott uns gibt und wir behalten könnten. Es ist eher ein Ausleihen. Ein Anvertrauen aus Gottes Sicht. Denn irgendwann müssen wir alles wieder ungefragt zurückgeben. Gott ist uns keine Rechenschaft schuldig. Der Gott, der gibt und der Gott, der nimmt, ist derselbe.
Der Tod eines geliebten Menschen darf nicht überspielt werden. Der Verlust von Hab und Gut kann sehr schmerzhaft sein. Das zurücklassen des «alten Menschen» nach der Bekehrung ist kein Zuckerschlecken, oft Bedeutete es Kündigungen von Lebensarten, Job oder Freundschaften . Verdrängung wäre nicht richtig, Trauerarbeit notwendig. Aber sie darf nicht jahrelang ein Leben belasten. Wer nicht loslässt bleibt in Schmerz und Bitterkeit zurück. Das ehrt niemanden.
Unrealistische Vorstellungen/Ideale loszulassen – wissen was mein Wert ausmacht, wer man ist
In der Regel fällt es uns leichter über andere und ihr Handeln zu urteilen; über ihre Motive und Ziele, als über uns selbst. Wenn jemand seinen Träumereien nachjagt und dabei versagt, «hat das ja jeder kommen sehen». Vielleicht kennen Sie ja die Geschichte des «verlorenen Sohnes» aus der Bibel. Er wollte zuerst allen Spass, keine Verpflichtung, verprasst alles und kommt als geschlagener Hund wieder nach Hause zurück in die liebenden Arme seines Vaters. Sein Erbe ärmer, aber eine sehr wichtige Erfahrung reicher.
Was sind die falschen Sehnsüchte die unsere Herzen aus Eitelkeit anstreben? Ein erfolgreiches Leben, Anerkennung, Bestätigung, ansammeln von Ehre, Besitz und Reichtum, oder simple Beachtung und Liebe von Menschen? Und versagen wir dabei nicht auch regelmässig? Ja als Christen wollen wir beides, die Vorzüge dieser Welt und das Vaterhaus Gottes. Liebevolle Arme und ein Gott, der beide Augen zudrückt, wenn alle anderen Angeboten für uns an Attraktivität verloren haben.
Wenn wir das «ferne ideale Leben» mit seinen 1000 Reizen und Möglichkeiten verlassen und umkehren, ist das erst der Anfang. Der Rückweg ist das eigentlich Schlimme, nicht das Eingestehen des Versagens. Es sind die Stimmen, dieser Welt, die uns glauben lassen wollen nur zurückkommen zu dürfen, wenn ich mein Gutsein, Ruhm und Anerkennung, Beliebtheit und Besitz verdient habe. Spiritualität kann dabei eine enorme Hilfe sein! Religion und Glaube haben hier Antworten für den Menschen, die ihm Halt geben. Was ist der Sinn meines Lebens, was macht meine Identität wirklich aus, was ist mein Wert? Als Christ überhöre ich schnell mal die Stimme Gottes, die mich «mein Sohn», «meine Tochter» nennt, unabhängig von meiner Leistung und Erfolg. Ich will glauben mehr sein zu müssen, mehr können müssen als «das Kind des einen Vaters» und fühle mich deshalb wertlos. Doch was macht denn meinen Wert aus? Mein Wert ist gegeben durch die Tatsache, dass ich «das Kind des einen Vaters» bin! Das ich durch Jesus gerechtfertigt und durch ihn ein Gotteskind bin. Mir steht Menschenwürde zu. Gott hat einen Plan, einen Sinn für mich und mir dazu Fähigkeiten gegeben, die gut genug dafür sind und die ich entdecken darf. Nicht mehr und nicht weniger gilt vor Gottes Thron! Je mehr wir die Fesseln loslassen können, erfolgreich zu sein, Stolz, Anerkennung und Besitz in dieser Welt zu erringen, werden wir gelassener werden. Der «verlorene Sohn», der die wahrhaftige Heimkehr zu Gott geschafft und dem «fernen idealen Leben» den Rücken zugekehrt hat, dieser sollte unser Vorbild sein!
Ein Lösungsimpuls: Unerledigtes und Vergangenes zurücklassen können
Negativer Stress ist in der Regel ein Hausgemachtes Problem. Je erfolgreicher und erfolgsorientierter wir Leben, desto mehr werden wir in Hektik und Spannung verbringen. Wir überfordern uns, weil wir etwas zu Ende bringen möchten, bevor es zu spät ist. Je mehr wir vollbringen wollen, desto mehr bleibt ungetan und ein Lebens-/Leidensdruck entsteht. Doch Gott ist in unserer Unvollkommenheit bei uns und gibt uns die Erlaubnis nicht alles in unserem Leben erreichen zu müssen, was wir uns vornehmen. Wir sind lediglich zur Treue verpflichtet. Diese Erkenntnis kann sehr befreiend sein, wenn man loslässt.
Wenn ich doch nur hätte! Hätte, hätte, hätte! DANN wäre alles anders! Doch mit Bestimmtheit wissen wir das nicht. Es ist ja auch egal, was wäre, denn jetzt ist es so wie es ist. Es erfordert eine Akzeptanz von dem was ist und ein loslassen von dem was hätte sein können. Wer ständig nach hinten schaut verrennt sich in Selbstvorwürfen, Schuldgefühle und Selbstmitleid. Das macht unglücklich und unfrei. Selbst Jesus sagt in einem Zitat: «Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geeignet für das Reich Gottes.» Ganz schön hart! Doch was er unterm Strich vermutlich meinte: Leben sie heute, sonst kommen Sie nicht vorwärts. Die Vergangenheit ist passé. Schauen sie zuversichtlich in die Zukunft, es kann nur anders werden.
Der Co-Abhängige muss loslassen
Was definiert einen Co.-Abhängigen? Er ist jemand der sich für jemanden verantwortlich fühlt, der sich (noch) nicht verantwortlich fühlt.
Der Co.-Abhängige kümmert sich gerne, es gibt ihm einen Sinn, er wird gerne gebraucht, drängt sich auf, beschäftigt sich mehr mit dem anderen, reagiert viel stärker auf sein Umfeld als auf sich selbst. Er zeigt sich enttäuscht, mit Wut, Bitterkeit, wenn sein ungefragtes Tun nicht angenommen wird. Schlussendlich wird er zur Belastung jeder belasteten Person. Der Co.-Abhängige verliert unbewusst seine eigene Identität, weil er sich zu sehr an die andere Person und ihr Problem fesselt. Verliert jene Person ihr Problem, würde er nicht mehr gebraucht werden und wäre wieder mit sich selbst konfrontiert. Wenn wir so voller Sorge und Besessenheit sind, hören wir auf über uns selbst nachzudenken. Wer besessen ist kann sich gedanklich nicht mehr lösen, wird schier verrückt! Er wir vom Problem und von anderen aufgefressen, verliert jegliche Energie und Kraft. Viele Co.-Abhängige reagieren mit Kontrolle, Fürsorge, Verzweiflung, Wut, Depression, Selbsthass, Sorgen. Sie tun so als ob der andere und sein Problem von ihnen abhängig wäre. Sie treten an die Stelle Gottes ohne es zu wollen. Das einzige was dem Co.-Abhängige helfen kann ist loszulassen! Er muss verstehen, das jeder selbst Verantwortung trägt. Selbst im Zustand, des ihm Unvorstellbaren. Loslassen heisst nicht, das der andere einem egal wäre. Es bedeutet: Zu kümmern und zu lieben ohne dabei sich selbst zu verlieren. Loslassen ist kein Ausweichen, nicht kalt und nicht feindselig. Wenn wir loslassen, ernten wir Gelassenheit, einen tiefen inneren Frieden. Wir bekommen die Freiheit unser eigenes Leben zu leben, ohne schlechtes Gewissen anderen gegenüber.
Wenn Sie nicht aufhören können an jemand anderen zu denken, über ihn zu reden, oder sie innerlich so sehr aufgewühlt sind, dass es sie krank macht, oder sie etwas tun müssen, weil sie es keine Sekunde länger mehr aushalten – müssen Sie dringend loslassen! Hat es Ihnen oder dem anderen jemals wirklich etwas gebracht, dass sie sich sorgen, kontrollieren, die ganze Energie aufwänden? Vielleicht sollten Sie es in Gottes Hände legen und loslassen.
Ein Lösungsimpuls: Vergeben können
Wenn Gott uns unsere Schuld erlässt macht er uns frei von Schuldgefühlen, Gedanken und Belastungen. Und so wie es im „Vater unser“ heisst: Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigen. Wenn Gott uns ausnahmslos vergibt, dann sollten wir uns nicht über Gott stellen und anderen nicht vergeben wollen. Ein entscheidender Punkt im Vergebungsprozess ist der, dass wenn wir vergeben, aufhören dem anderen Schuld nachzutragen. Tun wir das nicht, zeigen sich sehr bald psychosomatische Beschwerden, weil dann der Körper die nachzutragende Last der Seele trägt. Findet die Seele keinen Ausdruck reagiert der Körper. Doch vergeben wir, lassen wir Ballast, die Schuld des anderen, los, welche unsere Seelen-Körper-Verbindung gar nicht tragen kann. Das ist natürlich nicht einfach, obwohl wir schlussendlich befreit wären. Wenn wir uns für Vergebung entschieden haben, heisst das nicht, dass wir uns bereits leicht und frei fühlen. Genau das ist das schwierige, wo bleibt dann die Gerechtigkeit, denkt der Mensch? Nur Gott darf richten. Die Gerechtigkeit liegt gar nicht in unserem ermessen. Deshalb liegt es an uns unsere Verletzung und Ballast Gott hinzugeben, dass er richten kann, nicht wir. Das ist Demut gegenüber Gott und hat nichts mit Feigheit zu tun. Unsere Verletzungen sind ja immer noch da, doch sie können nun beginnen zu heilen, weil Gott gerecht ist und dich heilen wird.
Selbstmittleid hat viele Gründe und Motive. Es hat eine sehr selbstzerstörerische Wirkung auf Körper und Seele. Man konzentriert sich nur auf sich selbst, seine Rechte, Defizite und macht anderen Vorwürfe. Selbstmitleid ist eine mentale Schlacht im Kopf. Nachdenklich sein und krankhaft grübeln sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Nahdenken im positiven Sinne ist gut und richtig. Grübeln ist negativer Stress, wo Bitterkeit, Neid und Selbstmitleid gepflegt wird. Das Motiv von Selbstmitleid ist in erster Linie, dass wir uns zurück ziehen wollen, um in unserem Leid zu baden. Das ist menschlich, jedoch sehr zynisch. Mit Mutter Teresas Worten: «Selbstmitleid ist eine Ohrfeige für die, denen es wirklich schlecht geht.» Letztendlich ist uns auch besser geholfen, wenn wir aufhören uns selbst zu bemitleiden und beginnen Verantwortung zu übernehmen.
Wie können wir oder Angehörige wirklich helfen und begegnen? Was kann der Betroffene selbst tun? Menschen mit Selbstmitleid…
… brauchen Einsicht in ihr Leiden
… brauchen Einsicht in ihre unverstandenen Ziele
…können lernen, auch das positive zu sehen
Dem Selbstmitleid widerstehen!
… kann die paradoxe Intention helfen
Die Umdeutung der Lebensprobleme
Wir können unsere eingefahrenen Denkmuster ändern
… kommt aus der Ich-Sucht heraus, wenn er lernt, sich um andere zu kümmern
… muss ernstlich eine Änderung wollen
Lebensstil: Das Streben nach Unglücklich-Sein
Das neurotische Selbstmitleid ist im Lebensstil des Menschen wiederzufinden. Es prägt sein Denken, Fühlen und Handeln, seine Weltanschauung und Wahrnehmung. Man schlüpft in die Rolle des Aschenputtels, Sündenbocks, schwarzen Schafs, des im-Stich-gelassenen, Waisenkindes, Dummkopfes, Betrogenen oder Opfers. Jeder Klagesüchtige hat seine individuellen Muster. Aber alles findet sich in der Benachteiligung und Unrecht, wodurch er sich minderwertig, ungeliebt und zurückgesetzt fühlt. Darauf reagiert er zwanghaft mit Bedauern, was ihn schlussendlich isoliert und einsam macht.
Der Mensch der sich selbst erfolgreich bemitleidet hat das Streben nach Unglücklich-Sein mit dazu gelernt. Es ist eine erlernte Neurose. Alles Positive wird schamlos und rücksichtslos negativ betrachtet. Unbewusst hat er alles in seinem Leben so arrangiert, dass sein Klagen, auch begründbar ist. Der chronifizierte negative Blick und Bewertung, zeigt sich in sich wiederholenden Mustererfahrungen mit den Eltern, der Ehe/Partnerschaft, der Arbeit, der Welt und des Lebens selbst. Es wird sehr schwierig solchen Menschen zu helfen, weil die Hilfe, der Helfende, der Hilfesuchende an sich auch negativ ausgelegt werden wird.
Subassertivität
Nach einer Theorie von Nico van der Voot gibt es assertive Menschen (to assert: sich behaupten) und subasservative (jmd. der sich nicht behauptet). Asservative Leute sind eher direkt, sagen was sie ehrlich denken, wollen und meinen, genieren sich nicht dafür. Subasservative halten sich stehts zurück. Sie lügen nicht, aber sagen auch nicht wirklich was sie denken, wollen oder meinen. Er schweigt obwohl er reden möchte. Sie sind überzeugt, dass andere grosszügig ihre Liebe verdienen, aber sie selbst zu wenig empfangen, dass sie mit ihren Meinungen, Gedanken sein könnten, dazugehören dürften. Sie halten ihre eigene Güte für andere sehr hoch, bemitleiden sich selbst jedoch stark. Das kann unbewusst geschehen. «Eigentlich» ist ein Wort das solche Menschen häufig benutzen. Er sagt ja, will aber eigentlich nein sagen. Da ihm der Gewinn zu gefallen höher erscheint, als der Preis des Risikos, dass nicht diese Liebe, die nötig für seine Meinungsäusserung wäre, da sein könnte. Er ärgert sich jedoch sehr über sein Zurückhalten, fühlt sich jedoch ohnmächtig und verfällt ins Selbstmitleid.
Klagesucht und Vergleichen
Wenn man als Erwachsener dem Selbstmitleid verfällt, reagiert man wie ein Kind. Gedanke wie «ich werde vernachlässigt, abgelehnt, benachteiligt, nicht geliebt» kreisen im Kopf, «ich muss mich selbst bedauern». Wenn das Schwarzsehen chronisch wird, verfestigt es sich so im Menschen, dass es zu seiner absoluten Wahrheit wird. Seine Welt wird nur noch durch die dunkle Brille wahrgenommen. Ermutigungen werden wie Gummibälle an seiner schwarzen Wand sofort zurückgeworfen.
Selbstmitleid wird oft im Kindesalter «erlernt». Wenn ein Kind sich verletzt fühlt, weil es sich benachteiligt, weniger beachtet oder ungeliebt erlebt, reagiert es automatisch mit Selbstmitleid. Es weint aus Mitleid mit sich selbst. Besonders beim negativen Vergleichen wird der eigene Wert herabgesetzt. Wenn das Kind sich mit anderen Kindern misst und zur Überzeugung kommt, dass die Scheidung der Eltern hinderlich, andere Eltern netter sind, es schulisch nicht so gefördert wird oder schlichtweg kein Wunschkind ist etc., glaubt es Anerkennung und Zuwendung nicht verdient zu haben! Es wird auf jede Kritik und Hindernis mehr und mehr mit Selbstmitleid reagieren.
Weil man sich verletzt fühlt empfindet auch der Erwachsene im Selbstmitleid Mitleid mit sich selbst, so wie er mit anderen Mitleid haben würde. Es ist Selbsttröstung in Bezug auf das bemitleidenswerte Schicksal, das einem wiederfährt. Man gibt sich so selbst Trost und Liebe und erwartet Rücksicht von der Umgebung, dass sie ihn entschuldigt und ihm mit Zuwendung begegnet.
Das Selbstmitleid des ältesten Sohnes
Es gibt viele Erstgeborene, die versuchten die Gunst der Eltern durch Gehorsam, Fleiss, Pflichtbewusstsein und Anerkennung zu erringen. Wenn dann jüngere Geschwister aufbrechen, rebellieren, trotzen, Nerven und Geduld kosten, danach mit grosser Freude und Erleichterung jedoch wieder in die Arme der Eltern aufgenommen werden, erschüttert das das Weltbild der Älteren. Wie kann es sein das dieser Tu-nichts-gut trotz allem diese Liebe verdient? Er glaubt Liebe ist an gute Taten gebunden. Seinen Zorn und Bitterkeit über diese Ungerechtigkeit kann er nicht entladen. Das gehört sich ja nicht. Also wohin mit dem Schmerz des Verlorenen? So zerrinnt er im Selbstmitleid.
Was macht denn dieses Verlorenen-Sein aus? Geglaubte Ungerechtigkeit. Er ist verärgert, gekränkt, neigt zum Nörgeln und Vorurteilen, fühlt sich ausgenutzt, ist neidisch, eifersüchtig und verbittert, auf die Jüngeren, die weniger Erwartungen erfüllen möchten, sondern sich selbst verwirklichen. Er plagt sich mit Vorwürfen und einer Begierde nur einmal etwas Ungehorsames zu tun. Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid gründen aus einem Herz das glaubt nie erhalten zu haben, was ihm zusteht.
Ein Lösungsimpuls: Dem Selbstmitleid widerstehen können und lernen, auch das Positive zu sehen
So tröstend und wohlwollen sich Selbstmitleid geben kann, so demoralisierend und entmutigend ist es genauso. Jeder Mensch ist immer mit sich selbst beschäftig. Jedem geht sein Schicksal am nächsten. Es bringt nichts sich darum selbst zu bedauern, dass andere sich näherstehen als uns. Selbst Jesus ist es nicht anders ergangen. Er wurde verleugnet und verraten. Wieso sollte es uns besser ergehen? Die Realität ist nicht die heile Welt. Doch wir haben die Wahl uns fallen zulassen und niemandem zu helfen oder aktiv und kreativ negative Lebensumstände zu meistern.
Der Klagesüchtige hat es sich zur Gewohnheit gemacht alles negativ zu bewerten. Deshalb sollte man ihn dazu ermutigen die Gewohnheit zu ändern in dem er z. B. jeden Tag 5-10 positive Dinge nennt, für die er dankbar sein kann (vor Gott). Freiwilliges Danken ändert unser Denken. Wer dankbar ist, kann nicht sorgenvoll sein! Besonders Christen dürfen sich vergegenwärtigen, dass ihre Klagen Vorwürfe gegen den lebendigen Gott sind. Wir dürfen um Gottes Kraft bitten, dass er hilft alte Gewohnheiten durch neue zu ersetzten. Alles was er von uns braucht, ist unser Wille. Jesus fragt den Kranken: «Willst du gesund werden?». Der Wille zur Genesung ist entscheidend.
Mitleid
Wenn wir mit jemandem Mitleid haben, leiden wir mit ihm mit. Das ist nicht besonders schmeichelhaft für den Betroffenen, aber auch nicht völlig schlecht. Es zeigt, dass «aufrechte» Mitleid-habenden am anderen wirklich interessiert sind und sein Leid annehmen. Wir leiden so mit, als würde es uns selbst widerfahren. Sie bürden sich selbsschädigenderweise etwas auf. Geteiltes Leid ist halbes Leid, kennt der Volksmund. Heute könnte man mitleidig, mehr mit wehleidig übersetzten. Man leidet nicht mehr wirklich mit, sondern be-mitleidet den anderen um sein Schicksal/sein Sein, heuchelt ein Gefühl, schaut auf den anderen herab und das verletzt wiederum eher. Darin liegt keine Gleichwertigkeit, keine Würde. Das gilt auch besonders, wenn wir mit Kinder Mitleid haben. Der Bemitleider zeigt so, dass er den anderen für schwach hält, nimmt ihm den Lebensmut, verleitet dazu schwierigen Situationen aus dem Weg zu gehen, ermuntert zum Selbstmitleid. Das Kind oder der Leidende lernt durch Mitleid andere dazu zu bringen, dass sie für ihn die Probleme lösen. Spielt man mit, nimmt man diesen Personen die Chance zu wachsen, besser zu werden, selbständiger und selbstbewusster. Stattdessen braucht es Mitgefühl, das Teilen der Leid-Gefühle, nicht des Leides. Es braucht Ermutigung! Ja es ist ein scheiss Gefühl, du bist traurig und erschöpft, was verständlich ist. Ich fühle mit dir. Dennoch weiss ich, dass du stark bist und einen Weg finden wirst, diese Sache zu überstehen. Du wirst nachher stärker sein als zuvor. Ich glaube an dich! Ich bin da wenn du moralische Unterstützung brauchst, aber ich kann dir dein Leid nicht abnehmen. Niemand kann vor dem Leben verschont werden, vor Enttäuschungen, Niederlagen, Tod und Ängsten. Jeder von uns muss lernen selbst damit fertig zu werden.
Selbstmitleid lähmt und schafft Resignation
Es ist nicht sonderlich schwer sich mit negative Gedanken negative Gefühle zu produzieren. Falsche Bewertungen/Deutungen nähren gekonnt unser Selbstmitleid und halten es am Leben. Es sind in erster Linie wir selbst mit unseren falschen Annahmen, Unterstellungen und Vorurteilen die uns selbst verletzen! Diese Lebensmut-Energie, die wir verfüttern, fehlt schlussendlich. Es ist enorm anstrengend! So lässt man sich treiben und wird verantwortungslos.
Es gibt ein skandinavisches Sprichwort: Der Nordwind hat die Wikinger geschaffen. Jeder Mensch trifft auf Wiederstände im Leben. Es ist eine falsche Annahme, dass es uns ewig glücklich macht, wenn wir keine Schwierigkeiten mehr hätten. Im Gegenteil Charakter und Glück fällt denen zu die ihre Verantwortung tapfer auf sich nehmen, ganz egal in was für Umständen er sich befindet. Wer sich selbst bemitleidet, jammert auch noch wenn er auf einem Samtkissen liegt. Wer fordert, der kann fördern und Wikinger hervorbringen, Unterforderung stresst.
Übertriebene Selbstliebe und Selbstverwöhnung
Im Selbstmitleid versinken ist eine Art Selbstbefriedigung. Durch das Mitleid mit mir selbst, spende ich mir selbst Liebe, Trost, Entschuldigungen, eine wohlige Wärme und gebe mir das Recht mir «Gutes» zu tun, oder Lästiges nicht mehr zu tun, weil ich ja schon so leiden muss. So muss ich keine Zuwendung von anderen erwarten, was wiederum stabilisiert (Unabhängigkeit). Es bedarf dafür eine sehr egoistische Sicht, ein Kreisen um sich selbst. Man verschafft sich eine Sonderrolle. Man nimmt sich selbst raus aus der Gemeinschaft und schaut nicht mehr auf andere, fühlt sich nicht mehr für seinen Teil verantwortlich, hat sich selbst ent-schuldigt. Klagesüchtige habe die meisterhafte Fähigkeit erlernt alles negativ auszulegen und sich selbst dafür zu trösten/verwöhnen. Da es ein solch grosser Gewinn und Bedeutung für sie ist, wird es unheimlich schwierig werden, dies zu ändern.
Selbstverletzung und Ideale
Mit Selbstmitleid füge ich mir auch selbst Leid zu. Ich leide nicht nur mit, es widerfährt mir auch. Ich helfe mir ja nicht, ich bleibe im Leid. Ich sehe nur das und nur das Leid ist von Bedeutung in meinem Leben. Ich sehe nichts anderes mehr. Wenn man ständig um sein Problem kreist, es loswerden will, wird sich immer darauf fixieren. Solange es immer nur darum geht den Wunsch, das Problem nicht mehr zu haben und nicht mehr zu leiden, werden wir uns immer selbst verletzten. Je idealer wir uns unser Ziel ausmalen, desto intensiver werden wir danach streben, desto mehr werden wir in Selbstmitleid und Selbstverletzung fallen, wenn wir es noch nicht haben. Wir zerfleischen uns auf dem Weg zum Ideal, weil wir noch nicht ideal sind oder unsere Umstände. Wir glauben es sein zu müssen, um Sein zu dürfen.
Perfektionismus und Idealismus sind zwar meist sehr edel, doch chronischer Selbstmord. Je höher die Ideale und Ziele, desto tiefer die Enttäuschung und das Selbstmitleid. Opferbereitschaft wird gerne auch gerade von Christen als hohes Ideal, selbstlose Gesinnung gesehen. Doch wenn ich perfekt sein möchte, wird jede Unvollkommenheit mir schwer zu schaffen machen. Für jeden Fehler, Behinderung die zu meinem Ideal gehören mach ich mich verantwortlich, ich gebe mir ein Gewicht, das ich gar nicht habe und lastet auf mir. Wenn ich meine utopische Vorstellung nicht aufgebe, mache ich mich unglücklich. Zum Verhängnis wird es, wenn man selbst sehr idealistisch durchs Leben geht automatisch vom anderen verlangen wird ebenso aufopferungsbereit für diese Ideale zu sein. Man überfordert sich und den anderen. Das Problem sind dann nicht die anderen, sondern die utopische Idealeinstellung. Der erzwungen perfekte Himmel auf Erden, kann schnell so zur Hölle der Resignation und Depression werden.
Suchtverhalten
Alkohol oder allgemein Suchtmittel bilden einen immer wiederkehrenden Teufelskreis mit Selbstmitleid. Die Sorgen werden eingenebelt, in Alkohol ertrunken oder schön getrunken. Man will davor flüchten. Wenn die Ernüchterung wieder eintritt ist das Leid doppelt so gross und wird mit bekanntem Sorgenmittel erneut ertrunken. In der Bibel finden wir in den Sprüchen 23,29-35 (GNB) diesen Kreislauf hervorragend auf den Punkt gebracht:
29 Willst du wissen, wer ständig stöhnt und sich selbst bemitleidet? Wer immer Streit hat und sich über andere beklagt? Wer glasige Augen hat und Verletzungen, die er sich hätte ersparen können? 30 Das sind die, die bis spät in die Nacht beim Wein sitzen und keine Gelegenheit auslassen, eine neue Mischung zu probieren. 31 Lass dich nicht vom Wein verführen! Er funkelt so rot im Becher und gleitet so angenehm durch die Kehle; 32 aber dann wird es dir schwindlig, als hätte dich eine giftige Schlange gebissen. 33 Du siehst Dinge, die es gar nicht gibt, und redest dummes Zeug. 34 Du fühlst dich wie auf stürmischer See, wie einer, der im Mastkorb eines Schiffes liegt. 35 Wenn du wieder zu dir kommst, sagst du: »Man muss mich geschlagen haben, aber es hat nicht wehgetan. Man muss mich verprügelt haben, aber ich habe nichts gespürt! Wie werde ich nur wach? Ich brauche einen Schluck Wein, ich will wieder von vorn anfangen!«
Der Neurotiker der versucht gegen sein Selbstmitleid anzukämpfen, kämpft einen ähnlichen Kampf wie der Süchtige, der versucht von der Abhängigkeit loszukommen. Die Klagesuch beinhaltet ja eine Sucht. Wenn die Therapie zur Entwöhnung von Drogen mit der Neurose gleichgesetzt wird, dann muss der Neurotiker seine Impulse zum Selbstmitleid und Klagen unterdrücken um im Teufelskreis auszusteigen. Der Kreislauf hält sich am Leben, weil das Selbstmitleid immer genährt wird. Das Bedürfnis muss ausgehungert werden, der Betroffene Klage-Abstinent werden. Das Bedeutet das der Betroffene aufhören muss alles negativ zu sehen und darauf sich selbst zu verwöhnen, verhätscheln, ein falsches Wohlwollen zuzufächeln. Er kultiviert eine Art Selbstverliebtheit, deshalb ist er süchtig danach. Wer will schon (Selbst-)Liebe opfern? Deshalb wird man als Berater mehr als einmal auf energischen Wiederstand stossen. Das Verhalten/die Selbstsucht wird rationalisiert und entschuldigt. Der Klagesüchtige wird versuchen zu beweisen, dass er zu Recht auf sein Lebensunglück reagiert.
Scheinreue
Im Selbstmitleid tue ich mir leid, aber ich bereue nicht. Selbstmitleid ist eine Scheinreue, oberflächlich, unehrlich, ich mache mir selbst etwas vor. Der Apostel Paulus unterscheidet zwischen der gottgewollten und der weltlichen Traurigkeit (Bibel 2. Kor. 7,10). Die Sinnesänderung die mit Reue geschieht, die Gottes Vergebung braucht, erzeugt durchaus eine «gottgewollte» Traurigkeit. Wir tun Busse. Wir bereuen unser Tun, bitten um Vergebung und bemühen uns mit Gottes Hilfe um eine Veränderung. Die weltliche Traurigkeit ist fruchtlos, eine Falle des Teufels und zeigt sich im Teufelskreis des Selbstmitleids.
Ein Lösungsimpuls: Menschen mit Selbstmitleid
… brauchen Einsicht in ihr Leiden und unverstandenen Ziele
Der erste Schritt zur Veränderung ist die Einsicht. Begegnet man dem Selbstmitleidende mit Vorwürfen und Kritik, wird er sich gegen die Verständnislosigkeit wehren. Auch wer die angeblichen Leiden bagatellisiert oder Ratschläge gibt, stösst auf Abwehr. Der Klagesüchtige wird sich nicht ernst genommen fühlen, denn er ist von seiner Not überzeugt! Gelingt es die Selbsteinsicht zu mobilisieren ohne Zwang. Das ist die Kunst! Wir müssen zustimmen! Denn wenn er uns zustimmen kann und sich verstanden und ernst genommen fühlt, ist eine Offenheit zur Veränderung möglich.
Selbstmitleid und seine Symptome verfolgen immer bewusste und unbewusste Ziele. Z.B. Beachtung (für Nöte, Nachsicht, Rücksicht) oder Entschuldigung (für Schmerzen, Antriebslosigkeit, Abschieben von Verantwortung). Erkennt der Klagesüchtige das Ziel seines Selbstmitleids, kann er seine Bedürfnisse annehmen und sein Handeln korrigieren, wenn er in einem nächsten Schritt bereit dazu ist. «Welche Möglichkeiten siehst du selbst, deine verständlichen Klagen zu reduzieren, dein falsches Selbst-Verwöhnen zu beenden, um dein Wohlbefinden tatsächlich zu steigern?»
… kann die «Paradoxe Intention» helfen
Die paradoxe Intention ist eine therapeutische Methode. Dabei ermutigen wir den Klagesüchtigen selbst auf die Schippe zu nehmen und zu ironisieren! «Keinem geht es so schlecht wie mir! Gar niemand versteht mich! Nicht mal Gott!» Wenn es gelingt, merkt der Klagesüchtige, wie lächerlich, unwürdig und übertrieben er sich verhält. Plötzlich schafft er eine innere Distanz und kann über seinem Problem stehen. Das mildert sein Leid und er merkt, dass er sich aufgespielt hat.
… kommt aus der Ich-Sucht heraus, wenn er lernt, sich um andere zu kümmern
Das neurotische Verhalten im Selbstmitleid ist eine Ich-Sucht, in dem sein Leid im Zentrum steht. Wer er erkennt, dass er durch sein Klagen einsam wird, kann er sich zu einer neuen Einstellung entschliessen. Am meisten hilft dem Ichsüchtigen, wenn er sich um andere kümmert! So verliert er den Tunnelblick für sich selbst. Bei anderen gewinnt er so Anerkennung, Zuwendung und Bestätigung, wonach sich sein Herz so sehnt!
Nach einer Theorie von G.J.M. van den Aardweg zeigen sich vier Gesetzmässigkeiten des Selbstmitleids: Die Stetigkeit, die Gleichwertigkeit, die Verteidigung der Klagen und die Ich-Zentriertheit der Aufmerksamkeit.
1. Die Stetigkeit der Klagen:
Das Klagezentrum ist immer aktiv. Die Wahrnehmung ist stets mit einem negativen Filter behaftet. Wenn es nicht ausgesprochen wird, so sind die Gedanken immer von negativen Gefühlen wie Sorge, Vorurteile, Rastlosigkeit, Angst, Pessimismus begleitet. Eine gute Übung für die betreffende Person ist, sich 10-15 Min. auf Gedanken und Gefühle zu beobachten. Besonders die negativen.
2. Die Gleichwertigkeit der Klagen:
Während einer Therapie kann z.B. ein psychosomatisches Problem verschwinden, aber gleichzeitig sich die Klagesucht in einem anderen «Problem» verstärken. Der Klagesüchtige braucht irgendetwas worüber er sich beklagen kann. Dabei sind alle Arten von Problemen gleichwertig ersetzbar. Wenn solche Menschen schlechte Nachrichten hören, bedienen sie sich direkt davon und beziehen sie auf sich, in dem sie z. B. sagen das die Kinder keine gute Zukunft mehr haben werden, dass es ihnen selbst genau so ergeht, wie der armen Frau im TV, dass sie glauben auch in Gefahr zu sein etc. Sie werden immer fündig.
3. Die Verteidigung der Klagen:
Der Klagesüchtige sieht sich stets als Opfer, benachteiligt, betrogen. Er sieht sein Pessimismus eher als Realismus. Er will nicht wahrhaben, dass er unter Selbstmitleid leidet. Sofort geht er in Verteidigung/Rechtfertigung. Was er sehnsüchtig sucht sind Menschen, die sich ihn das Elend einfühlen können, ihn verstehen, ihm zustimmen. Er will/erwartet Bestärkung und Bestätigung.
4. Die Ich-Zentriertheit der Aufmerksamkeit:
Der selbstmitleidige Mensch beansprucht enorme Aufmerksamkeit, provoziert andere diese extreme Ich-Zentrierung auszuhalten. Er ist immer sehr dramatisch, denn seine Erfahrung lehrt ihn, dass er andere vom Leid überzeugen, ja zum Mitleid erziehen muss. Denn sein Leid ist wichtiger, schmerzhafter, schlimmer als alles andere. Die Position des anderen hat in seiner Wahrnehmung keinen Platz, er kann deren Bedürfnisse nicht mehr sehen. Deshalb sind Klagesüchtige schnell am Rande der Gesellschaft. Ihre Ich-Zentriertheit ist Gift für die Liebes- und somit für die Gemeinschaftsfähigkeit. Mit einem Klagesüchtigen in der Beziehung, ist man schnell am Rande der Resignation.
Folgen von Co-Abhängigkeit
Selbstmitleid kann die Folge einer übergrossen Hilfeleistung sein, die aufgedrängt und nicht mit Dankbarkeit beantwortet wird. Die Aufopferung wurde nicht gewürdigt. Paradoxerweise übergehen sie mit ihrem Verhalten die Würde des anderen. Gerade bei Suchtkranken sind Co-Abhängige nicht weit. Sie haben ein starkes Retter-Bedürfnis, geben sich übertrieben führsorglich, verfolgen unbewusst das Gefühl gebraucht zu werden, mischen sich ein, denken, planen und fällen ungefragt Entscheidungen für den anderen.
Das Retter-Verfolger-Opfer-Drama - Ich habe alles für meine Kinder getan
Eine Frau hat sich zur Lebensaufgabe gemacht ihre 3 Kinder zu erziehen. Da ihr Mann beruflich viel unterwegs war, traten die Kinder an seine Stelle und sie verwöhnte sie so sehr, dass sie für sie ihr letztes Hemd gegeben hätte. Das Ergebnis zeigt sich in einer Affäre ihres Mannes, Scheidung ihrer ältesten Tochter, die Mittlere ist vor dem Selbstmitleid der Mutter geflohen und der Sohn macht ihr Vorwürfe, dass sie nicht an sich selbst denkt. Was ist passiert?
1. Sie hat alles für ihre Kinder getan. Durch das Verwöhnen, hat sie verzichtet. Sie hat sich selbst zur Sklavin gemacht, aufgeopfert. Die Kinder nehmen und danken nicht, da es normal ist das Mama macht und sich ungefragt aufdrängt.
Viele Christen sind auch gerne Retter/Kümmerer. Sie nehmen sich gerne andere an und lösen ihre Probleme, nehmen ihnen ihre Verantwortung ab, weil sie dem anderen unterstellen, selbst nicht fähig dazu zu sein. Der geschwächte Hilfesuchende nimmt diese Vereinnahmung zuerst auch dankbar an. Er muss nichts tun, kann sich fallen lassen, der Retter nimmt alles in die Hand. Nach dem Modell Karpman-Drama-Dreieck von Stephen B. Karpman ist das die erste Ecke des Dreiecks.
2. Wer sich aufopfert und dafür Gegenliebe und Dank erwartet, wird enttäuscht werden. In der Aufopferung liegt der Gewinn gebraucht zu werden. Sie sucht Bestätigung und Liebe in ihrem Tun. Sie drängt sich damit förmlich auf, bevormundend, ist zwanghaft. Der Mann flüchtet vor ihrer Vereinnahmung in die Arbeit, doch sie versteht nicht und deutet ihr Tun als Liebe. Die zweite Ecke beginnt mit dieser unerwarteten Reaktion des Hilfesuchenden, der nicht mehr dankbar reagiert, irgendwann Bedingungen stellt und den ungefragten Rat verschmäht. Das Wohlwollen, Mitleid und aufgedrängte Tun schlägt ins Gegenteil um, das Opfer wehrt sich gegen den Retter, erlebt ihn plötzlich als Verfolger. Darauf läuft der Retter in die dritte Ecke des Dreiecks.
3. Aufopferung endet häufig in Selbstmitleid. Je mehr wir uns jemandem aufdrängen, desto rebellischer wird dieser sich abwenden. Es wird nicht mehr gefragt, sondern übergangen. Viele Verfolgte sagen zu spät stopp, fliehen und kränken so den Opferbereiten. Der Retter der des Guten zu viel tut, erntet Undankbarkeit und zerfliesst in bittere Enttäuschung und Selbstmitleid. Er fühlt sich hilflos, voller Sorge, Schmerz und Scham, da er nicht gewürdigt wurde.
Ein Lösungsimpuls: Wir können unsere eingefahrenen Denkmuster und Lebensprobleme durch Umdeutung ändern, wenn wir ernstlich eine Änderung wollen
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. (deutsches Sprichwort)
…und fehlt der Wille, kann auch kein neuer Weg beschritten werden. Wer nicht will, hat keine Einsicht und umgekehrt.
Doch wo ein Ziel ist, ist immer ein Wille! (Psychiater Viktor E. Frankl)
Aus amerikanischen Langzeitstudien (über 14J.) ging hervor, dass Menschen, die einen Partner verloren haben und sich mit dem Verlust nicht abfinden können, ein 5-10-faches Krebsrisiko zeigen. Wir müssen unser Denken ändern! Besonders wenn wir zum Grübeln neigen. Die Seele leidet so lange und fügt sich und dem Körper schaden zu, bis sie ihr Schicksal akzeptieren kann! Akzeptieren ist nicht Resignieren. Akzeptieren bedeutet hier seine Umstände annehmen, wie sie sind. Altes loslassen, wieso und aber loslassen, sich dem zuwenden was oder wie es jetzt ist. Der seelische Unfriede ist Stress für den Körper, er schwächt das Immunsystem und öffnet Türen für Krankheiten. Seelisches Gleichgewicht ist der Friede, den wir uns alle so wünschen! Dieses Gleichgewicht ist in erster Linie Beziehungspflege zu mir selbst und zu Gott. Wer im seelischen Gleichgewicht lebt, praktiziert Zufrieden- und Gelassenheit. So sind Körper, Seele und Geist im Einklang.
So wie Erlebnisse, Krisen, Konflikte und Verhaltensmuster gedeutet werden, werden sie erlebt. Wenn ich beginne alles aus der Perspektive von Gott zu sehen, kann ich die selben Gegebenheiten, anders betrachten und bewerten. In jeder Stärke ist unsere Schwäche und umgekehrt. Ich könnte z. B. erkennen, dass meine Angst auch sein darf, ich muss nicht nicht Angst haben. Sie ist ok. Sie hilft mir auf alles gefasst und vorbereitet zu sein. Ich darf auch empfindlich sein, ich bin ein sensibler Mensch. Ich spüre mehr als andere. So kann ich mich mit mir aussöhnen, dass relativiert die Schwächen meiner Stärken. Gott mutet es mir zu, weil er mir zutraut es tragen zu können. Das gleiche gilt dem Selbstmitleid. Mache ich mein Problem zum Problem, bekomme ich ein Problem! Gestehe ich mir ein, dass ich mich doch vielleicht ein bisschen selbst bemitleide und das zu mir gehört, relativere ich deren Bedeutung.
Geduld hat es in unserer schnelllebigen Zeit so schwer wie Gelassenheit. Doch alles dauert seine Zeit, ob wir das wollen oder nicht! Gut Ding will Weile haben. Ein Fötus braucht 9 Monate zur Entwicklung, erwachsen werden 18 Jahre, oft ein bisschen mehr. Und ein Meister ist noch nie vom Himmel gefallen! Selbst das grösste Talent braucht Training und das meist jahrelang.
Siehe wenn Gott eine Eiche machen will, nimmt er sich 20 Jahre Zeit dafür, beim Kürbis nur 2 Monate. Die Eiche braucht Härte und Festigkeit, die erst über eine Zeit der Bewährung erfolgt. Dies fordert Geduld, welche beim Kürbis nicht nötig ist. Dinge, die in unserem Leben eine gewisse Festigkeit benötigen, fordern unsere Geduld.
Geduld ist eine Lebensstilfrage
Dem einen fällt es leichter geduldig zu sein, dem anderen schwerer. Geduld ist eine Typfrage. Wir sind unterschiedlich in Temperament und Lebensgestaltung. Der Phlegmatiker ist nach der Temperamentenlehre der geduldigste. Er ist ruhig und zuverlässig, kann sich Zeit nehmen, etwas in aller Ruhe zu untersuchen, abzuwägen und die bestmögliche Entscheidung treffen. Er ist friedfertig und wirkt daher eher beruhigend auf andere. Seine Lebensart ist jedoch auch eher langsam, theoretisch und pessimistisch. Für den Choleriker ist er daher vor allem bremsend. Der Choleriker ist das Gegenteil, erfolgs- und zielorientiert, tatkräftig, dynamisch, ehrgeizig. Er kann alles, will alles und zwar sofort. Er neigt zum Herrschen, zur Manipulation, Rechthaberei und zur Ungeduld, was er mit Beziehungsunfähigkeit bezahlt. Wenn jemand nicht mit ihm mithalten kann, reagiert er gereizt. Er sehnt sich zwar theoretisch nach mehr Geduld, doch praktisch würde das nicht in seinen Lebensstil passen. Um geduldiger zu sein, müsste er einen Teil seiner Dynamik aufgeben und dieser Preis ist dann meistens doch zu hoch. Doch gelingt es ihm sich die phlegmatische, ruhige Geduld anzueignen, könnte er die grossartige Führungskraft werden, die er glaubt zu sein.
Vergebung braucht Geduld
Das heilen von Verletzungen und Kränkungen braucht Zeit und somit unsere Geduld. Vergebung ist ein Rechtsakt des Kopfes, das Herz hinkt hinter her. Es braucht viele kleine Schritte, wie Sorgfalt, Rücksicht und gedankliche Arbeit auf der Reise der Vergebung. Der Kopf hat bloss den neuen Weg eingeschlagen, doch gehen muss das Herz. Geduldigen Menschen fällt der Vergebungsweg leichter.
Uns reisst der Geduldsfaden
Wer kennt es nicht? Wenn wir die Geduld verlieren, verlieren wir genauso unsere Selbstbeherrschung. Wir flippen aus und jegliche Kontrolle geht uns abhanden, tun oder sagen Dinge, die wir im nächsten Moment bereuen. Wenn wir uns über kurze oder längere Zeit überfordern, unter Druck setzten, verlieren wir die Geduld. Der benötigte Lebensmut, die Tapferkeit, die für Geduld nötig sind, aufgebraucht und unsere Nerven sind gereizt. So verlieren wir unsere Selbstbeherrschung schlagartig.
Geduld und Subassertivität
In der Bibel fordert uns Paulus auf in Langmut zu wandeln. Langmut beinhaltet Geduld, Standhaftigkeit und Ausdauer. Die Bibel sagt auch das Geduld das Gegenteil von Zorn sei. Geduld heilt und Zorn zerstört. Subassertive Menschen, die nicht aussprechen was sie eigentlich denken, weil sie andere nicht in Missfallen bringen möchten, zeigen eine falsche Art von Geduld. Ihre Geduld ist ein Zeichen von Schwäche und Angst vor menschlichen Reaktionen. Die biblische Geduld, die Langmut zeichnet sich aus durch Kraft des Glaubens und trägt Rückgrat.
Geduld im Leid und Trübsal und meint nicht Resignation
Not macht erfinderisch, fordert heraus, setzt Energie frei und übt in Geduld. Not führt zur Entscheidung: wähle ich Selbstmitleid und lasse mich hängen oder packe ich es an und kämpfe? Zu keiner Zeit hat es weniger Selbstmorde gegeben, als in den bitteren Nachkriegsjahren des 2. Weltkrieges! Das zeigt, die meisten Menschen wählen das kämpfen! Das ist gesund, doch fordert es Geduld im Sinn von Ausdauer! Trübsal bedeutet im griechischen auch Druck, also Druck-Last oder Bedrängnis. Es gib Leute die sagen, dass sie erst unter einem bestimmten Druck beginnen zu arbeiten. Vielleicht lässt Gott gerade das Leid in deinem Leben zu, dass du unter Geduld eine Fähigkeit entwickeln kannst, die du anders nie erreichen würdest.
In hoffen steckt Geduld haben. Manche glauben, dass wenn alles nicht mehr geht, nur noch hoffen auf ein Wunder übrigbleibt. Oder man glaubt, dass Leute, welche nichts mehr tun, sondern geduldig abwarten, aufgegeben hätten. Doch wenn man glaubt, dass nur die geduldig sein können, denen nur das hoffen noch übrigbleibt, hat ein falsches Bild von Geduld. Geduldig sein, hat nichts mit aufgeben zu tun. Geduldig-sein ist eine tapfere oft auch mutige Haltung, bei der man aushalten und ausharren können muss. Das ist zeitlich nicht unendlich und ziellos. Wer geduldig ist, weiss es kommt die Zeit wo etwas eintrifft, worauf sich das Warten lohnt. Das ist nicht hoffnungslos, sondern bringt Erfahrung, was wiederum eine geduldige und wissende Hoffnung erzeugt.
Gesunde Geduld kann also nur wachsen wo Hoffnung ist. Wer geduldig ist gibt sich nicht auf und gibt seinem Leben einen Sinn. Wenn wir es schaffen mit Gottes Verbundenheit unser Leid auszuhalten, ohne die Augen davor zu verschliessen, ohne die Wirklichkeit zu verdrängen, geduldig dem Elend standhalten, ist es uns möglich innerlich zur Ruhe zu kommen. Das Leben wird wieder lebenswert und man fühlt sich, als sei man ein neuer Mensch geworden. Wenn ich weiss, dass mit Einsatz von Geduld, sich vieles ändern wird, hat meine Hoffnung einen Sinn.
Ein Lösungsimpuls: Wie übt man sich in Geduld und wie betet man darum? Geduld ist eine Frucht des Heiligen Geistes
"Sei freundlich und geduldig, demütig und höflich mit allen, aber sei vor allem freundlich und geduldig mit dir selbst."
(Pere Hyazinthe Besson)
Geduld ist etwas was man sich über Jahre aneignen kann, aber nicht direkt erlernbar ist. Sie steigt so wie wir im Glauben wachsen. Dabei trainieren wir vor allem Selbstbeherrschung, Selbstbewusstsein und Selbstannahme. Das Gegenteil fördert Ungeduld, was Unzufriedenheit und übertriebenen Ehrgeiz anstachelt. Unser Leben wird hektisch und wir verliehen Gelassenheit.
Geduld ist keine Tugend, die wir nicht durch direktes Tun oder unter Willensanstrengung gewinnen können. Sie ist nicht die Ursache von Ruhe und Gelassenheit oder inneren Frieden und Ausgeglichenheit. Sie ist die Folge eines Geschenks, eine Beigabe, wenn Gottes Kraft unser Leben lenkt. Sie ist eine Frucht des Heiligen Geistes. Wenn wir Gott als Wertgeber in unserem Leben haben, dann verliehen plötzlich viele Dinge an Bedeutung, die vorher vergöttert wurden: Übertriebener Ehrgeiz, Arbeitssucht, Besitz und Ehre, Anerkennung und Bestätigung, Konkurrenzstreben, Karriere- und Erfolgssucht. Schaffen wir es die Werte der Welt weniger oder gar nicht mehr anzubeten und stattdessen Gott als alleiniger Wert in unserem Leben zu betrachten, werden wir unter anderem mit der Frucht der Geduld gesegnet werden.
Nun woran liegt es, wenn wir zwar ganz konkret um Geduld und Gelassenheit beten, jedoch weder gelassener noch geduldiger werden?
Wir beten um etwas, das wir theoretisch gutheissen, aber praktisch unterlaufen
Wir beschäftigen uns mit Symptomen statt mit Motiven
Wenn wir mal an dem Punkt ankommen sind wo wir einsehen, dass wir uns ändern müssten, haben wir diese Tatsache sehr wohl erkannt, sind aber vielleicht noch nicht bereit es wirklich zu tun. Dann treten wir im Gebet mit unserer Bitte Gott gegenüber sehr widersprüchlich auf, denn er sieht unser Herz. «Wir sagen: wasch mich, aber mach mich nicht nass!» Streng genommen sind wir nicht ehrlich und wahrhaftig. Gott ist uns nicht böse, aber kann uns so auch nicht geben, worum wir bitten.
Wenn unsere Gebete fruchtbar sein sollen, müssen wir genau zwischen Symptomen und Motiven unterscheiden. Wir sollten um Kraft bitten Ursachen zu ändern, nicht Folgeerscheinungen. Gott will, dass wir das Übel an der Wurzel packen. Wenn wir um Geduld bitten, sollten wir vielleicht eher um Weisheit und Einsicht beten, denn Geduld ist eine Frucht vom Lebenswandel. Deshalb überlege gut, ob dein Leid ein Symptom ist oder Ursache. Um Klarheit bitten ist z. B. nie verkehrt. Wenn wir mal eine Einsicht haben, ist der nächste Schritt, das Ablegen der alten Lebensmuster die grössere Herausforderung und fällt manchmal unendlich schwer. Wir wollen beides Geduld und der bisherige Lebensstil. Wem die Gesinnungsänderung gelingt, erntet Gelassenheit
Ein Lösungsimpuls: Geduld ist nur Abbild der Geduld Gottes und bewahrt uns vor falschen Schritten
Die grosse Stärke des Phlegmatikers ist, dass seine Geduld ihn wohl überlegte Entscheidungen treffen lässt. Er bewahrt sich vor bösen Überraschungen, Unheil, Konflikten und Schäden. Ungeduld spiegelt häufig Jähzorn, Unbesonnenheit und auch Dummheit im Sinn von Fehlentscheidungen wieder. Wenn Gott mehr und mehr in unser Leben einzieht, können wir auch immer mehr von besonnenen Entscheidungen profitieren. Auch wenn es den hartgesottenen Karrieresüchtigen nicht gelingt mit dem Mittelmass zufrieden zu sein, so schafft er es womöglich nicht mehr immer zu forderst, sondern auch mal mit der zweiten oder dritten Stelle zufrieden zu sein. Und auch das ist schon ein enormer Gewinn in Gottes Sicht!
Gott lebt uns seine Geduld vor. Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von grosser Güte, heisst es in der Bibel. Im Vergleich zu ihm fehlt uns oft der lange Atem, diese Geduld, die Beharrlichkeit. Wir können nur vielleicht mit einer «Engelsgeduld» gesegnet werden. Gott hat in Jesus unsere Schuld, unsere Strafe und unseren Tod erduldet. Sein langer Atem ist auch seine unbegreifliche Liebe zu uns.